Lass
mich am Morgen hören deine Gnade; denn ich hoffe auf Dich. Tu mir
kund den Weg, den ich gehen soll; denn mich verlangt nach dir.
(Psalm143,8)
(Psalm143,8)
Das
ist der Monatsvers für diesen Januar. Alte Worte, in dieser
Lutherübersetzung zwar eingängig, aber auch etwas altmodisch-steif.
Als ich sie länger auf mich wirken lasse, entdecke ich viel Leben
und Beziehung darin, und ich bekomme Lust, sie auszumalen und das
Psalmgebet weiterzuspinnen in unseren Alltag hinein.
Lass
mich am Morgen hören deine Gnade...
Früh
am Morgen höre ich den ersten Lärm des dämmernden Tages, aber auch
seine Musik. Weckerpiepen, Vogelsingen, Nachbarn im Treppenhaus,
Kinder auf dem Schulweg, eine oder zwei Elstern, das Radio,
Nachrichten, zum Glück immer noch kein Weltuntergang,
Moderatoren-Smalltalk, ein lange nicht gehörtes Lieblingslied,
uralte Erinnerungen, die Baustelle am Ende der Straße, Autos auf
nassem Asphalt, die Katze an der Schlafzimmertür will Futter.
Früh
am Morgen höre ich die inneren Stimmen. Die Sorgen sind wieder mal
als erste wach. Verrührte Gedanken, ganz schön durcheinander, ein
kleines Glück von gestern, ein bescheidener Erfolg, einzelne
Menschen, verschiedene Begegnungen, eine zarte Vorfreude, dann wieder
die Aufgaben für heute, ein lästiger Termin, unerledigt
gebliebenes.
In
all dem überhöre ich leicht deine Stimme, deinen Zuspruch, dein
beharrliches aber niemals aufdringliches „Ich bin da“. Dich
herauszuhören will ich üben, immer wieder, immer neu, immer auch
darauf angewiesen, dass du dich zu verstehen gibst.
Manchmal
höre ich, wie der Hahn zum zweiten Mal kräht. Wenn ein Fehler, eine
Schuld unüberhörbar aus dem Gestern hervorsticht, ein Misston, den
ich gern herausschneiden würde. Gerade dann fällt mir das Hören
oft schwer, scheint das Rauschen lauter. Gerade dann bist Du da,
unbeirrbar.
…denn
ich hoffe auf dich.
„Hoffentlich
wird das Wetter gut“ denke ich, und „hoffentlich kriege ich heute
dieses Projekt abgeschlossen“. Und „hoffentlich bist du, Gott, an
diesem Tag bei mir“? Nein, das passt nicht. Ich will dich nicht zum
Kumpelgott machen, mit dem mein Leben eben netter ist als ohne. Ich
will Dich nicht als Sonnenscheingott für's Wochenende, und nicht als
Glücksgott, mit dem mir die Alltagsarbeit besser von der Hand geht.
Hoffentlich will ich das nie...
„Ich
hoffe“ vieles, alltäglich, leicht gesagt, fast ohne es zu merken.
Und wenn es regnet, nehme ich eben die Regenhose. Und wenn ich eine
Aufgabe heute nicht fertig bekomme, muss ich wohl morgen damit
weitermachen. Und wenn du, Gott, nicht bei mir bleibst,...
So
eben nicht. „Ich hoffe auf dich“ meine ich anders. Ich habe
keinen Plan B. Es gibt keinen. Wenn du nicht mein Leben trägst,
zerrinnt es mir zwischen den Fingern, bleibt letzten Endes nichts
davon. Wenn du mir nicht gnädig bist, stehe ich am Abgrund. Wenn
nicht du – dann niemand. Ich auch nicht.
Tu
mir kund den Weg, den ich gehen soll...
Hier stolpere ich. Ein Schritt zurück, heraus aus dem Gebet: was meine ich, wenn ich diese Bitte mitspreche? Was erwarte ich von Gott? Was für ein Bild habe ich von Gott, den ich so bitte? Ein paar Gottes-Skizzen:
Gott
als Navi: er kennt den ganzen Weg in allen Einzelheiten und sagt mir
an jeder Wegkreuzung, wie ich abbiegen muss. Solange ich jede Ansage
beachte, komme ich auf dem kürzesten Weg ans Ziel. Ansonsten höre
ich so lange „Bitte wenden!“, bis ich wieder in der Spur bin.
Bitte funktioniere einfach weiter...
Gott
als Orakel: er kennt wohl den ganzen Weg, spricht aber wenig, und
wenn, dann in Rätseln. Die eigentliche Herausforderung des Glaubens
ist, möglichst viele seiner kostbaren Hinweise einzusammeln und dann
auch noch richtig zu deuten. Bitte drücke dich doch ein bisschen
klarer aus...
Gott
im Buch: alles was ich brauche ist längst aufgeschrieben. „Es ist
dir gesagt, Mensch, was gut ist“ (Micha 6,8). Die Leitplanken und
Wegweiser sind gesetzt. Bitte hilf mir, die uralten Texte richtig zu
verstehen...
Nein,
es muss noch um etwas anderes gehen. Ein anderes Bild geht mir durch
den Kopf: Gott als ortskundiger Begleiter in einer fremden Stadt, der
mir nicht nur navigieren hilft, sondern auch, Land und Leute zu
verstehen und zu lieben. Der nicht nur sagt „da entlang musst du
gehen“, sondern eher „komm mit, ich will dir etwas zeigen“ und
„diesen Menschen solltest du kennen lernen“. Ein
Mit-auf-dem-Weg-Gott, der sagt „sieh mal, das habe ich für dich
erschaffen“ und „hier brauche ich jetzt deine Hilfe“. Diesen
Gott bitte ich: nimm mich mit auf deinen Weg, zeig mir die Welt mit
deinen Augen.
...denn
mich verlangt nach dir.
Denn
das ist der Weg, den ich suche: zu dir, Gott, und an deiner Seite.
Eigentlich. Meistens. Manchmal. In meinen besten Momenten. Denn wenn
ich ehrlich bin, ist mein Verlangen eine ziemlich bunte Mischung, und
oft ist darin mehr Sehnsucht nach einem guten Gefühl als nach meinem
Schöpfer und Erlöser. Ich suche Versöhnung, Zuversicht,
Geborgenheit, Freiheit, Gemeinschaft oder Stille. Suche ich Gott?
Auch wenn sein Weg gerade durch Konfrontation, Enttäuschung,
Unsicherheit, Verzicht, Einsamkeit oder Unruhe führt? Ich hoffe,
versuche, übe es.
Gut,
dass Gottes Ja zu mir nicht davon abhängt. Dass er sich nicht erst
finden lässt, wenn unsere Sehnsucht nach ihm aus allem weltlichen
Verlangen herausdestilliert ist. Dass er immer schon zu uns unterwegs
ist, bedingungslos und beharrlich.
Das haben wir im Advent gefeiert: dass Gott unermüdlich zu uns
unterwegs ist, und dass er heute bei dir und mir ankommen will. Ich
wünsche uns ein "adventliches" 2014, das unsere Sehnsucht nach Gott weckt
und belebt, und das uns auf den Weg lockt, den wir gehen sollen: Gott
entgegen und mit ihm in diese Welt.
Leitartikel im Gemeindebrief Dezember/Januar der Hoffnungskirche Bielefeld
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