Donnerstag, 2. Januar 2014

Ein altes Gebet

Lass mich am Morgen hören deine Gnade; denn ich hoffe auf Dich. Tu mir kund den Weg, den ich gehen soll; denn mich verlangt nach dir.
(Psalm143,8)

Das ist der Monatsvers für diesen Januar. Alte Worte, in dieser Lutherübersetzung zwar eingängig, aber auch etwas altmodisch-steif. Als ich sie länger auf mich wirken lasse, entdecke ich viel Leben und Beziehung darin, und ich bekomme Lust, sie auszumalen und das Psalmgebet weiterzuspinnen in unseren Alltag hinein.

Lass mich am Morgen hören deine Gnade...

Früh am Morgen höre ich den ersten Lärm des dämmernden Tages, aber auch seine Musik. Weckerpiepen, Vogelsingen, Nachbarn im Treppenhaus, Kinder auf dem Schulweg, eine oder zwei Elstern, das Radio, Nachrichten, zum Glück immer noch kein Weltuntergang, Moderatoren-Smalltalk, ein lange nicht gehörtes Lieblingslied, uralte Erinnerungen, die Baustelle am Ende der Straße, Autos auf nassem Asphalt, die Katze an der Schlafzimmertür will Futter.

Früh am Morgen höre ich die inneren Stimmen. Die Sorgen sind wieder mal als erste wach. Verrührte Gedanken, ganz schön durcheinander, ein kleines Glück von gestern, ein bescheidener Erfolg, einzelne Menschen, verschiedene Begegnungen, eine zarte Vorfreude, dann wieder die Aufgaben für heute, ein lästiger Termin, unerledigt gebliebenes.

In all dem überhöre ich leicht deine Stimme, deinen Zuspruch, dein beharrliches aber niemals aufdringliches „Ich bin da“. Dich herauszuhören will ich üben, immer wieder, immer neu, immer auch darauf angewiesen, dass du dich zu verstehen gibst.

Manchmal höre ich, wie der Hahn zum zweiten Mal kräht. Wenn ein Fehler, eine Schuld unüberhörbar aus dem Gestern hervorsticht, ein Misston, den ich gern herausschneiden würde. Gerade dann fällt mir das Hören oft schwer, scheint das Rauschen lauter. Gerade dann bist Du da, unbeirrbar.

denn ich hoffe auf dich.

„Hoffentlich wird das Wetter gut“ denke ich, und „hoffentlich kriege ich heute dieses Projekt abgeschlossen“. Und „hoffentlich bist du, Gott, an diesem Tag bei mir“? Nein, das passt nicht. Ich will dich nicht zum Kumpelgott machen, mit dem mein Leben eben netter ist als ohne. Ich will Dich nicht als Sonnenscheingott für's Wochenende, und nicht als Glücksgott, mit dem mir die Alltagsarbeit besser von der Hand geht. Hoffentlich will ich das nie...

„Ich hoffe“ vieles, alltäglich, leicht gesagt, fast ohne es zu merken. Und wenn es regnet, nehme ich eben die Regenhose. Und wenn ich eine Aufgabe heute nicht fertig bekomme, muss ich wohl morgen damit weitermachen. Und wenn du, Gott, nicht bei mir bleibst,...

So eben nicht. „Ich hoffe auf dich“ meine ich anders. Ich habe keinen Plan B. Es gibt keinen. Wenn du nicht mein Leben trägst, zerrinnt es mir zwischen den Fingern, bleibt letzten Endes nichts davon. Wenn du mir nicht gnädig bist, stehe ich am Abgrund. Wenn nicht du – dann niemand. Ich auch nicht.

Tu mir kund den Weg, den ich gehen soll...


Hier stolpere ich. Ein Schritt zurück, heraus aus dem Gebet: was meine ich, wenn ich diese Bitte mitspreche? Was erwarte ich von Gott? Was für ein Bild habe ich von Gott, den ich so bitte? Ein paar Gottes-Skizzen:

Gott als Navi: er kennt den ganzen Weg in allen Einzelheiten und sagt mir an jeder Wegkreuzung, wie ich abbiegen muss. Solange ich jede Ansage beachte, komme ich auf dem kürzesten Weg ans Ziel. Ansonsten höre ich so lange „Bitte wenden!“, bis ich wieder in der Spur bin. Bitte funktioniere einfach weiter...

Gott als Orakel: er kennt wohl den ganzen Weg, spricht aber wenig, und wenn, dann in Rätseln. Die eigentliche Herausforderung des Glaubens ist, möglichst viele seiner kostbaren Hinweise einzusammeln und dann auch noch richtig zu deuten. Bitte drücke dich doch ein bisschen klarer aus...

Gott im Buch: alles was ich brauche ist längst aufgeschrieben. „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist“ (Micha 6,8). Die Leitplanken und Wegweiser sind gesetzt. Bitte hilf mir, die uralten Texte richtig zu verstehen...

Nein, es muss noch um etwas anderes gehen. Ein anderes Bild geht mir durch den Kopf: Gott als ortskundiger Begleiter in einer fremden Stadt, der mir nicht nur navigieren hilft, sondern auch, Land und Leute zu verstehen und zu lieben. Der nicht nur sagt „da entlang musst du gehen“, sondern eher „komm mit, ich will dir etwas zeigen“ und „diesen Menschen solltest du kennen lernen“. Ein Mit-auf-dem-Weg-Gott, der sagt „sieh mal, das habe ich für dich erschaffen“ und „hier brauche ich jetzt deine Hilfe“. Diesen Gott bitte ich: nimm mich mit auf deinen Weg, zeig mir die Welt mit deinen Augen.

...denn mich verlangt nach dir.

Denn das ist der Weg, den ich suche: zu dir, Gott, und an deiner Seite. Eigentlich. Meistens. Manchmal. In meinen besten Momenten. Denn wenn ich ehrlich bin, ist mein Verlangen eine ziemlich bunte Mischung, und oft ist darin mehr Sehnsucht nach einem guten Gefühl als nach meinem Schöpfer und Erlöser. Ich suche Versöhnung, Zuversicht, Geborgenheit, Freiheit, Gemeinschaft oder Stille. Suche ich Gott? Auch wenn sein Weg gerade durch Konfrontation, Enttäuschung, Unsicherheit, Verzicht, Einsamkeit oder Unruhe führt? Ich hoffe, versuche, übe es.

Gut, dass Gottes Ja zu mir nicht davon abhängt. Dass er sich nicht erst finden lässt, wenn unsere Sehnsucht nach ihm aus allem weltlichen Verlangen herausdestilliert ist. Dass er immer schon zu uns unterwegs ist, bedingungslos und beharrlich.

Das haben wir im Advent gefeiert: dass Gott unermüdlich zu uns unterwegs ist, und dass er heute bei dir und mir ankommen will. Ich wünsche uns ein "adventliches" 2014, das unsere Sehnsucht nach Gott weckt und belebt, und das uns auf den Weg lockt, den wir gehen sollen: Gott entgegen und mit ihm in diese Welt.

Leitartikel im Gemeindebrief Dezember/Januar der Hoffnungskirche Bielefeld

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