Samstag, 30. Januar 2010

Maschinelle Poesie

Ein alter Menschheitstraum: nicht allein kreativ zu sein, sondern ein selbständig kreatives Etwas zu erschaffen. Einen Automaten oder Algorithmus etwa, der in gewissem Sinne "uns gleich sei", ein "Ebenbild" mit eigenen Entscheidungen, unvorhersagbar, spielerisch, ästhetisch, emotional. Der Traum, gottgleich eine neue Art von Leben in die Welt zu setzen.

Unser mühsames Dahinstolpern auf diesem endlosen Weg hat manche skurrilen Blüten hervorgebracht. Eine in diesem Zusammenhang wenig beachtete sind die sogenannten "Übersetzungsprogramme". Ursprünglich dazu gedacht, Information unbeschadet von einer Sprache in eine andere zu übertragen, tun sie in Wirklichkeit etwas ganz anderen: sie dichten. Mit ungeahnter Ästhetik und hintersinnigem Humor erschaffen sie Poesie, die wir nicht besser hingekriegt hätten. Höchstens anders.

Neulich flatterte mir ein ganz entzückendes Werk eines solchen Dichters aus Bits und Bytes in die Mailbox, und ich finde, es verdient ein größeres Publikum. Hier ist es:

Sehr geehrte Kunden Visa,

Es wurde unsere Aufmerksamkeit, dass Ihre Visa-Karte Informationen müssen reaktiviert werden gebracht zum Teil auch weiterhin Ihre Karte zu schützen und zu reduzieren der Fall von Betrug.
Wenn Sie Ihre Visa-Karte aktiviert sie nicht unterbrochen werden und wird wie gewohnt fortsetzen.

Ihre Identifikationsnummer ist: A7DS54LT

Klicken Sie auf den folgenden Link zur Aktivierung Ihrer VISA-Karte :
Bitte klicken Sie hier, um Ihre Identität zu prüfen

Wenn Sie Ihren Datei zu überprüfen führt zur Aussetzung der Karte

Ist das nicht wunderschön? Diese Sprachmelodie, diese poetische Verschmelzung von Hinterlist und Naivität...

Nun muss man ja damit rechnen, dass "Übersetzungsprogramme" eines fernen Tages tatsächlich Programme sein werden, die übersetzen. Ich bin sicher, dass wir dann - manchmal - wehmütig zurückdenken werden an den lyrischen Reichtum der Tage, als diese Programme doch viel mehr konnten als einfach nur übersetzen.

<Nachtrag>
Wenige Tage nach diesem Blog-Eintrag lese ich vom Gedenken an zwei Pioniere der Computerkunst, die tatsächlich absichtlich an digitaler Poesie gearbeitet haben - ohne den Umweg über vorgebliches "Übersetzen". Der Würdigung ihrer Lebenswerke schließe ich mich gern an: am 7.2.2010 wäre Max Bense 100 Jahre alt geworden, und am 31.1.2010 starb im Alter von 77 Jahren sein Schüler Theo Lutz.

Aber auch im Bereich der erdichteten Übersetzungen wird offenbar fleißig weiter experimentiert: niemand geringeres als Google scheint den Babelfisch realisieren zu wollen. OK, ins Ohr wird er noch nicht gleich passen, aber im Handy ist doch auch schon nicht schlecht, oder? Simultan-"Übersetzung" gesprochener Sprache - auf die poetischen Ergüsse bin ich ja schon sowas von gespannt...
</Nachtrag>

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